Was hilft, was ist nutzlos? Sorgsam ausgewählte und auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmte nicht medikamentöse Strategien sind ein wesentlicher Bestandteil einer ganzheitlichen Migränetherapie. Wichtig ist allerdings, die Einsatzmöglichkeiten und Grenzen dieser Behandlungen zu kennen, und zu wissen, welche Maßnahmen nutzlos sind.
Entstehung und Diagnose von Migräne
Voraussetzung für eine gezielte Migränebehandlung ist die Erstellung der korrekten Diagnose. Zudem fragen viele Patientinnen und Patienten, wie Migräne entsteht. Die Diagnose „Migräne“ wird im ärztlichen Gespräch und auf Basis der genauen Beschreibung der Beschwerden durch die Betroffenen gestellt. Migräne ist ein primärer Kopfschmerz. Das heißt, es gibt keine zugrundeliegende Ursache und es gibt keinen Biomarker, also keine Laborwerte, Röntgenaufnahmen, CT (Computertomographie) - oder MRT (Magnetresonanztomographie)-Untersuchungen, die Migräne beweisen würden. In wissenschaftlichen Studien konnte hingegen eine ganze Reihe von Funktionsänderungen im Nervensystem nachgewiesen werden. Kurz zusammengefasst wird eine Migräneattacke durch Impulse aus bestimmten Regionen des Gehirns ausgelöst, die eine Entzündungsreaktion in der Hirnhaut zur Folge haben. Eine zentrale Rolle kommt dabei dem Botenstoff CGRP (calcitonin gene-related peptide) zu.
Prinzipiell kann bei jedem Menschen eine Migräneattacke auftreten. Wiederkehrende Attacken dürften genetisch bedingt und durch diverse Auslöser, sogenannte Trigger, begünstigt werden.
Therapie der akuten Migräneattacke
Während einer akuten Migräneattacke können Rückzug in einen ruhigen dunklen Raum oder kühle Umschläge die Zeit bis zum Abklingen der Attacke erträglicher machen oder es ist sogar unumgänglich, dass sich die Betroffenen zu Bett begeben. Die Verwendung eines Medikaments ist üblicherweise dennoch erforderlich. Ein Medikament soll die Attacke innerhalb von zwei Stunden zum Abklingen bringen, verlässlich wirken und gut verträglich sein. Zu beachten sind die rechtzeitige Einnahme und eine ausreichend hohe Dosierung. Die Akutmedikation soll eingenommen werden, sobald die Migräneattacke einsetzt. Bei leichten Kopfschmerzen, die möglicherweise spontan abklingen, ohne Einschränkungen in den Aktivitäten des täglichen Lebens zu verursachen, soll allerdings zugewartet werden. So kann verhindert werden, dass ein Medikament unnötigerweise eingenommen wird. Dies ist deshalb entscheidend, weil Kopfschmerz- und Migränemittel nicht unbegrenzt verwendet werden dürfen. Zu häufige Einnahme kann einen medikamentenbedingten Kopfschmerz und damit eine weitere Zunahme der Kopfschmerzen zur Folge haben. Mittel gegen akute Kopfschmerzen sollen daher im Durchschnitt an nicht mehr als zwei Tagen pro Woche eingenommen werden. Einer kleinen placebo-kontrollierten Studie zu Folge, kann die zusätzliche Einnahme von Ingwer (400 mg Extrakt, 5 % aktive Wirkstoffe) die medikamentöse Akuttherapie einer Migräneattacke eventuell positiv unterstützen.
Migränevorbeugung
Die Maßnahmen, die zur Migränevorbeugung eingesetzt werden, umspannen den weiten Bereich von Lebensstilmodifikation (ausreichende Flüssigkeitszufuhr, regelmäßige Mahlzeiten, genügend Schlaf und Ausdauersport), Entspannungsverfahren, Akupunktur, psychologischer Begleitung und Verhaltenstherapie, über pflanzliche Präparate, Nahrungsergänzungsmittel und traditionelle Medikamente zur Migränevorbeugung bis hin zur Anwendung der neuesten und gezielt für Migräne entwickelten Antikörper gegen CGRP. Die für eine bestimmte Patientin, einen bestimmten Patienten am besten geeignete Behandlung soll den individuellen Erfordernissen gerecht werden.
Entspannungsverfahren
Unter den Entspannungsverfahren kommen bei Migräne in erster Linie Biofeedback und progressive Muskelrelaxation nach Jacobson zum Einsatz. Weitere Techniken sind das autogene Training, Meditation und Yoga, Hypnose und imaginative Verfahren.
Beim Biofeedback werden Sensoren auf die Haut geklebt und bestimmte Werte, wie die Muskelanspannung, die Hautleitfähigkeit oder die Atmung, gemessen. Die Messergebnisse sind ein Maß für Anspannung und werden auf einem Bildschirm dargestellt und mit Tönen über einen Lautsprecher vermittelt. Die Rückmeldung (Feedback) durch den Computer erlaubt es, Strategien zur Entspannung zu erlernen, mit dem Ziel, Entspannung auch ohne technische Unterstützung erfolgreich einsetzen zu können.
Bei der progressiven Muskelrelaxation werden einzelne Muskelpartien – vom Kopf bis zu den Füßen – zunächst kurz angespannt und dann bewusst entspannt.
Psychologische Begleitung und Verhaltenstherapie
Im Sinne eines bio-psycho-sozialen Herangehens an wiederkehrende oder chronische Schmerzen kommen der psychologischen Beratung und der Verhaltenstherapie eine wichtige Rolle zu. Es ist allerdings wichtig zu beachten, dass nicht jeglicher Stress bei Personen mit Migräne negative Auswirkungen hat. Belastende Umstände können hingegen die Migränehäufigkeit erhöhen und gezielte psychologisch-psychotherapeutische Gegenmaßnahmen erforderlich machen. Ziel der Verhaltenstherapie ist die Hilfe zur Selbsthilfe. Die KlientInnen sollen nützliche Bewältigungsstrategien erlernen und ungünstige Verhaltensweisen „verlernen“.
Akupunktur und traditionelle chinesische Medizin (TCM)
Eine Reihe von wissenschaftlichen Studien hat die Wirksamkeit der Akupunktur in der vorbeugenden Behandlung der Migräne belegt. Für Diskussionen sorgt allerdings, dass sich in manchen Studien Akupunktur (entsprechend den Regeln der TCM) nicht von Scheinakupunktur (bei der die Nadeln an Nicht-Akupunktur-Punkte gesetzt wurden) unterschieden hat. Für andere Maßnahmen der TCM, wie Kräuter und Tees fehlt ein Wirkungsnachweis.
Pflanzliche Präparate und Nahrungsergänzungsmittel
Mutterkraut, Riboflavin, Coenzym Q10 und Magnesium sind keine Medikamente im engeren Sinn und ohne Rezept erhältlich. Allen genannten Präparaten wird Wirksamkeit in der Migräneprophylaxe zugeschrieben. Wenn nach zirka sechs Wochen eine Besserung erkennbar ist, sollte die Einnahme für mindestens drei, besser sechs Monate fortgeführt werden.
Homöopathie
Die Homöopathie findet breite Anwendung. Jedoch ist weder das prinzipielle Konzept der Homöopathie, nämlich hohe Verdünnungen, noch der Nutzen bei Migräne wissenschaftlich belegt.
Weitere wirkungslose Maßnahmen
Als Maßnahmen, die unwirksam sind oder deren Wirksamkeit noch nicht belegt ist, wertet die Deutsche Gesellschaft für Neurologie: Augen-Laser-Akupunktur, chiropraktische Therapie, Diäten, Entfernung von Amalgamfüllungen, Entfernung der Gebärmutter, Frischzell-Therapie, Fußzonenreflexmassage, Gebisskorrektur, hyperbare Sauerstofftherapie, Kolonhydrotherapie, Magnetfeldbehandlung, Mandeloperation, Migräne-Chirurgie, Neuraltherapie, Ozontherapie, Piercings, Psychoanalyse, Psychophonie und die Sanierung vermeintlicher Pilzinfektionen des Darmes.
Autor: Univ.-Prof. Dr. Christian Wöber
Leiter des Spezialbereiches Kopfschmerz
Universitätsklinik für Neurologie
Medizinische Universität Wien
(Foto: Wilke)