Eine Betroffene berichtet anonym – (Name der Redaktion bekannt).

Kopfschmerzen kennt der Mensch, aber Migräne hat wenig mit „normalen“ Kopfschmerzen die beispielsweise wetterbedingt ausgelöst sein könnten zu tun. Wer schon einmal Migräne hatte kennt den typischen heftig pulsierenden, pochenden, durchdringenden Schmerz an der Schläfe oder im Nacken begleitet von Übelkeit, Erbrechen, Schüttelfrost und anderen Begleitsymptomen. Der Schmerz bahnt sich an oder kommt plötzlich in Form einer Attacke und fordert seinen Tribut. Er zwingt zur Ruhe, absoluter Ruhe in jeglicher Hinsicht. Jede Bewegung verstärkt den Presslufthammer im schmerzenden Areal und löst vernichtende, qualvolle Schmerzen aus. Licht, Geräusche und Gerüche sind kaum zu ertragen. So bleibt nur der Ausweg ins Bett in einem abgedunkelten, ruhigen Raum. Es reißt dich aus dem Leben, zwingt zur Isolation.

So ein Anfall kommt unterschiedlich oft - einmal im Jahr, einmal im Monat, einmal in der Woche. Und er dauert normalerweise ein paar Stunden bis drei Tage, manchmal auch länger. Bei mir dauert er länger. Er hört nicht mehr auf. Seit Jahren hört er nicht mehr auf. Er ist immer da und lässt sich nur durch Medikamente betäuben. Es hat lange gedauert, das richtige Medikament zu finden, das die Schmerzen lindert. Normale Kopfschmerztabletten helfen bei mir nicht, sie verursachen nur Magenbeschwerden, schwächen die Organe und auf lange Sicht verursachen sie noch mehr Kopfschmerzen. Doch die richtigen Medikamente bekämpfen tatsächlich die schmerzauslösenden Parameter. Doch diese Präparate haben teilweise Nebenwirkungen. Und ein Restschmerz bleibt bei mir immer über, manchmal mehr, manchmal weniger.

Ich habe gelernt, mit dieser Erkrankung zu leben. Ich übe es täglich seit vielen Jahren. Bis zu einem gewissen Grad gewöhnt man sich an die Schmerzen und auch an die Müdigkeit, die einerseits durch die Migräne selber aber auch durch die Medikamente verursacht wird. Ich möchte Normalität und kämpfe darum. Ich werde dieser Erkrankung nicht klein beigeben. Doch dieser Kampf ist anstrengend und kräfteraubend. Das merke ich vor allem, wenn ich abends nach einem anstrengenden, langen Arbeitstag nach Hause komme oder am Wochenende. Da fehlt mir dann die Energie für ein Privatleben. Ich denke, das ist auch typisch für Migräne-Betroffene. Viele wollen perfekt sein, geben volle Leistung und gehen dabei, manchmal mehr manchmal weniger, über die eigenen Grenzen.

Eine meiner Strategien für den Umgang mit dem allgegenwärtigen Schmerz ist die Fokussierung meiner Aufmerksamkeit nach außen, weg von dem, was mich quält. Ich konzentriere mich auf meine Arbeit, meine Hobbys, auf ein Buch oder einen Film. Es hilft mir die Schmerzen zu vergessen, sie weniger wahr zu nehmen. Aber das ist eine heikle Gratwanderung, ist es doch gleichzeitig sehr wesentlich auf sein Inneres und seinen Körper zu achten. Er sagt mir, was ihm guttut und was nicht, was er braucht oder was er gerade gar nicht möchte. Man muss sich schon selbst beobachten, um seine individuellen Auslöser kennen zu lernen. Nur wenn ich meine Auslöser kenne kann ich sie vermeiden oder manchmal auch bewusst ein Risiko eingehen, weil ich eben nicht in einem Vermeidungsverhalten verharren möchte. So versuche ich einen vernünftigen Mittelweg zu finden zwischen Normalität und meinem Leben mit Migräne.

Ich bin sicher, dass Menschen, die mich nicht näher kennen, nicht merken, dass ich täglich an Migräne leide. Man sieht es ja nicht und ich möchte auch nicht, dass man es sieht. Ich suche ja Normalität. Ich möchte nicht bemitleidet werden. Aber andererseits fehlt es dann auch wieder an Verständnis, wenn ich davon erzähle – weil man es eben nicht sieht. Viele können sich das nicht vorstellen.

Die Reaktionen der Menschen um mich herum sind unterschiedlich. Manche sind unverständig, kennt man doch das Bild der Frau mit Migräne, die sich aus einer Situation herausschummeln möchte. Solche Vorurteile halten sich beharrlich. Auch in die Psycho-Ecke wird man gerne geschoben: „Die Krankheit will Dir etwas sagen und solange du nicht hinschaust wird es auch nicht besser“. Ich habe hingeschaut, es wurde nicht besser.

Manche geben gute Tipps. Ich sollte mehr Wasser trinken, ich sollte Umschläge mit Knoblauch, Öl und Koriander machen, ich sollte entgiften, ich sollte mehr an die frische Luft gehen und Sport machen, ich sollte zu EnergetikerInnen und WunderheilerInnen gehen, ich sollte noch viel mehr. Im Laufe meiner Erkrankung habe ich das alles durch. Ich habe es alles probiert. Auch wenn ich an Vieles nicht glaube habe ich es trotzdem probiert. Ich wollte es einfach nicht unversucht lassen. Das hat mich viel Hoffnung, Energie, Zeit und Geld gekostet. In der Zwischenzeit bin ich müde, müde vom Probieren, müde vom immer wieder enttäuscht werden und müde mich zu überwinden, wenn ich nicht daran glaube. Ich weiß, dass derlei Ratschläge gut gemeint sind und ich bemühe mich, mich trotzdem noch freundlich und dankbar zu zeigen, auch wenn ich es nicht mehr hören kann. Manch weit entfernte Bekannte melden sich wieder, wenn sie von einer neuen Therapie gehört haben, die irgendjemandem in ihrem Bekanntenkreis geholfen hat. Und sie wollen mir damit helfen und mir eine Freude machen. Es gibt fast nichts, was ich noch nicht gehört habe und es entweder probiert oder mich kundig gemacht habe und so bedanke ich mich freundlich, denke es kurz durch und meist verwerfe ich es recht schnell wieder. Trotzdem bin ich froh, wenn sie an mich denken. Vielleicht ist ja wirklich einmal etwas dabei, was hilft…

Aber nicht nur die Menschen um mich herum reagieren sehr unterschiedlich, auch meine Suche nach der richtigen Ärztin, dem richtigen Arzt brachte viele skurrile Blüten. Erst musste ich herausfinden, dass die wenigsten MedizinerInnen sich gut mit Kopfschmerzen auskennen, auch nicht die aus dem Fachgebiet Neurologie, die es eigentlich wissen sollten. In der Zwischenzeit kenne ich mich sehr gut mit meiner Erkrankung aus und merke sehr schnell, wenn ÄrztInnen keine Ahnung haben. Im Laufe meiner Suche waren viele Besuche sehr enttäuschend. Angefangen bei „das gibt es nicht, dass Sie täglich Migräne haben, machen Sie eine Therapie“, Zähne abschleifen, sehr teure Blutuntersuchung, heikle manuelle Behandlungen, Hausmittelchen bis hin zu Eigenbluttherapien war alles dabei. Zu KassenärztInnen brauche ich gar nicht zu gehen, allein meine Krankengeschichte und bereits versuchten Therapien sprengen das Zeitkontingent, das ihnen zur Verfügung steht.

Um andere Betroffene zu unterstützen und um meine Erfahrungen weiter zu geben und ihnen wenn möglich solch schlechte Erfahrungen zu ersparen leite ich gemeinsam mit einer Freundin (und selbst Betroffenen) eine Selbsthilfegruppe. Hier zeigt sich, dass ich nicht alleine bin mit solchen Erfahrungen. Und ich bin auch nicht alleine, wenn ich täglich Migräne habe. Es gibt nicht viele, aber es gibt einige, die ähnliches durchmachen und es tut gut sich gegenseitig darüber auszutauschen. Hier treffen wir auf andere Betroffene, die sich in ähnlichen Lebenssituationen befinden. Hier müssen wir nicht viel erklären, alle können weitgehend nachempfinden, wie es den anderen geht, weil sie den gleichen oder ähnlichen Herausforderungen begegnen. Wir tauschen unsere Erfahrungen aus. Fragen wie „Was machst du in so einer Situation?“, “Kennst du das auch, dass…?“ usw. sind üblich. Häufige Themen betreffen beispielsweise den Umgang mit ArbeitgeberInnen oder Herausforderungen, denen wir im Gesundheitssystem gegenüberstehen. Alle kennen die gleichen Probleme und begegnen sich auf Augenhöhe.

Und so mache ich weiter. Ich habe akzeptiert, dass ich krank bin und daher Einschränkungen hinnehmen muss, aber ich versuche meine Auslöser zu vermeiden, ich praktiziere Entspannungsverfahren, achte auf meinen Körper und führe ein Leben, so normal, wie es mir möglich ist. Ich möchte informiert bleiben und ich gebe nicht auf!