Jeder Zehnte leidet in Österreich unter Migräne, doch viele lassen die Beschwerden nicht medizinisch abklären. Das häufig vorgebrachte Vorurteil, Betroffene seien Hypochonder, einfach nur hysterisch oder wollten sich unangenehmen Situationen entziehen, hält sie davon ab, trotz des hohen Leidensdrucks, eine/n ÄrztIn aufzusuchen. Dabei ist Migräne eine ernstzunehmende, komplizierte Erkrankung des Nervensystems im Hirnstamm, die auf einer oftmals genetisch bedingten Reizverarbeitungsstörung beruht.

Migräne - Mythen und Fakten

Immer wieder werden zur Migräneentstehung und –behandlung Punkte erwähnt, die einer Tatsachenbewertung nicht standhalten und dadurch auch die Behandlung erschweren. Dazu zählen Aussagen wie; „Die Pille macht Migräne.“ „Das Wetter ist schuld.“ „Sie hat Migräne – sie simuliert sicher nur“. „Als Mann kann ich keine Migräne haben.“ Einige davon werden hier auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft.

Die Pille macht Kopfschmerzen

Frauen werden häufig vor der ersten Einnahme einer hormonellen Verhütung darauf hingewiesen, dass die Pille zu Kopfschmerzen führen kann. Grundsätzlich verursacht die Einnahme der Pille aber keine Kopfschmerzen. Nur wenn Frauen eine Veranlagung zu Migräne haben, kann die Pille die Migräne an Intensität und Häufigkeit verstärken. Es gibt aber auch den umgekehrten Fall, dass Frauen mit Migräne von der Pille profitieren. Bei vielen Frauen kommt es allerdings zu keiner Veränderung der Migräne. Leider kann dies nicht vorhergesagt werden, sodass einfach ausprobiert werden muss, zu welchem Typ man gehört. Das Weglassen der Pillenpause oder die Einnahme einer nur Gestagen enthaltenden Pille kann zur Vermeidung der menstruationsgebundenen Migräne führen. Dies sollte jedoch mit einer/m GynäkologIn abgeklärt werden. Wichtig ist zusätzlich folgender Punkt: Wenn Sie an einer Migräne mit Aura leiden, dürfen Sie keine Pille einnehmen, die Östrogene enthält, denn dadurch kann das Schlaganfallrisiko erhöht werden.

Bestimmte Trigger sind "schuld" an der Migräne und müssen vermieden werden

Die Ursache der Migräne liegt nicht in äußeren Faktoren sondern in einer genetisch bedingten individuellen Neigung zu Migräne. Jedoch geben viele Betroffene an, dass es bestimmte Auslöser (= Trigger) für ihre Migräneattacken gibt. So werden etwa bestimmte Nahrungsmittel, Nackenverspannungen, Schlafmangel, körperliche Anstrengung oder Stress genannt. Die Schwierigkeit, bestimmte Faktoren als Attackenauslöser festzumachen, liegt unter anderem auch darin, dass die Migräne eine Prodomalphase hat, in der unterschiedliche Vorboten vor dem Kopfschmerz auftreten können. Dies sind z.B. Müdigkeit, wiederholtes Gähnen, Appetitlosigkeit, Heißhunger auf bestimmte Lebensmittel, Nackenverspannungen oder Stimmungsschwankungen. Es ist daher schwierig zu sagen, ob der Heißhunger auf Schokolade tatsächlich ein Trigger der Attacke ist, oder nicht doch ein Vorbote der Attacke.

Es ist nun nicht sinnvoll, dass jede von Migräne betroffene Person alle möglichen Trigger vermeidet. Erstens ist dies mit einer normalen Lebensführung nicht vereinbar und vermindert die Lebensqualität. Zweitens wirkt ein bestimmter Trigger nicht bei jedem/jeder und nicht bei jeder Attacke. Sollte Ihnen aber konkret aufgefallen sein, dass z.B. der Konsum von Rotwein zu Migräne führt, so lassen Sie diesen weg. Wenn dies nicht der Fall ist, können Sie gelegentlich ein Glas trinken. Analog gilt dies für andere mögliche Trigger. Statt körperliche Anstrengung zu vermeiden, ist es gerade bei Migräne sinnvoll, moderaten Ausdauersport zu betreiben, da sich dieser günstig auf die Attackenhäufigkeit auswirkt. Wichtig ist dabei jedoch, wenn man nicht gut trainiert ist, mit einer geringen Intensität und kurzen Dauer zu beginnen und diese langsam zu steigern. Es gibt einige weitere Lebensstilfaktoren, die Sie berücksichtigen können, um die Migräne zu verbessern, ohne in ein reines Vermeidungsverhalten zu verfallen. So hat es sich als günstig erwiesen, regelmäßig zu essen und zu trinken sowie für ausreichend Schlaf zu sorgen. Stress lässt sich oft nicht vermeiden (und ist durchaus auch positiv), allerdings kann erlernt werden, anders mit Stress umzugehen. So sollten etwa auch in anstrengenden Lebensphasen rechtzeitig kurze Erholungsphasen eingebaut werden (ein entspannter Abend, ein Spaziergang, ein gutes Buch, ein heißes Bad etc.). Einer aktiven, bewussten Lebensgestaltung ist sicher der Vorzug vor einem reinen Vermeidungsverhalten zu geben.

Wetterwechsel, Temperatur und Luftdruck sind verantwortlich für Migräne

Wetterfühligkeit und Wetterveränderungen zählen zu den am häufigsten angegebenen Triggern für Migräneattacken. Es gibt zwar vereinzelt in Studien Hinweise, dass Migräneattacken vermehrt auftreten, wenn es größere Veränderungen in der Lufttemperatur gibt (ob Temperaturabnahme oder Zunahme ist dabei egal), oder dass Föhnwetter einen Einfluss haben könnte. In den meisten Untersuchungen konnte jedoch kein Zusammenhang zwischen dem Wetter und der Migränehäufigkeit oder Migräneintensität nachgewiesen werden. Außerdem kann nicht sicher gesagt werden, ob wirklich das Wetter oder nur die Erwartung als Auslöser wirkt, und es gibt viele zusätzliche Einflussfaktoren. Da wir das Wetter nicht beeinflussen können, hat es wenig Sinn, es akribisch zu beobachten, und somit die Wahrscheinlichkeit der „selbst erfüllenden Prophezeiung“ zu erhöhen. Besser ist es, beeinflussbare Faktoren zu berücksichtigen. Außerdem: Nicht jede Migräneattacke benötigt einen erkennbaren Auslöser. Migräne kann auch „einfach so“ auftreten.

Besondere Ernährungsformen können Migräne heilen

Grundsätzlich ist es nicht möglich, Migräne zu heilen. Die Veranlagung bleibt ein Leben lang, sodass immer Attacken auftreten können, auch wenn sie bei den meisten PatientInnen mit zunehmendem Lebensalter seltener auftreten. Manch Anbieter bestimmter Diäten versprechen eine Heilung von Migräne, ohne dass es dafür Belege gibt.

Eine Migräne ist doch nichts anderes als starke Kopfschmerzen, oder?

Eine Migräne ist mehr als „nur“ Kopfschmerzen. Die Schmerzen sind in der Regel stark, dazu kommen vegetative Begleitsymptome wie Übelkeit, Erbrechen, Licht- und Lärmempfindlichkeit. Die Betroffenen haben ein Bedürfnis nach Ruhe, und einfache körperliche Aktivitäten wie Stiegen Steigen, Bücken oder Aufkehren können den Schmerz deutlich verstärken. Das Konzentrationsvermögen und die körperliche Leistungsfähigkeit sind vermindert. Die Migräne ist daher keine Ausrede. Tatsächlich sind die Betroffenen während einer Attacke nicht arbeitsfähig bzw. leistungsfähig oder nur eingeschränkt leistungsfähig. Auch nach Abklingen der Kopfschmerzen dauert es in der Erholungsphase eventuell noch einige Stunden, bis die gewohnte Leistungsfähigkeit wiederhergestellt ist.

Migräne ist eine reine Frauensache

Auch Männer leiden an Migräneattacken, obwohl Frauen von Migräne 2-2½ Mal häufiger betroffen sind als Männer. In der Allgemeinbevölkerung haben in Österreich 14 % der Frauen und 6 % der Männer innerhalb eines Jahres Migräne. Am meisten betroffen sind Menschen zwischen 16 und 49 Jahren. Nicht vergessen werden darf, dass auch Kinder Migräne haben können (bis zu 3-10 % der Kinder und Jugendlichen). Dabei fällt allerdings auf, dass vor der Pubertät bzw. vor Einsetzen der Menarche (erste Menstruationsblutung) Buben häufiger betroffen sind als Mädchen. Erst danach kehrt sich das Geschlechterverhältnis um.

Autorin:
Assoc. Prof. Priv. Doz. Dr.in Karin Zebenholzer
Universitätsklinik für Neurologie
Medizinische Universität Wien
Währinger Gürtel 18-20
1090 Wien

Quellen

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  • Sheikh HU et al. Risk of stroke associated with use of estrogen containing contraceptives in women with migraine: a systematic review. Headache 2018; 58 (1): 5-21
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  • Zebenholzer K et al. Migraine and weather: a prospective diary-based analysis. Cephalalgia 2011; 31 (4): 391-400
  • Stovner LJ, Andree C. Prevalence of headache in Europe: a review for the Eurolight project. J Headache Pain 2010; 11: 289-299